Physiknobelpreis 1955: Polykarp Kusch — Willis Eugene Lamb

Physiknobelpreis 1955: Polykarp Kusch — Willis Eugene Lamb
Physiknobelpreis 1955: Polykarp Kusch — Willis Eugene Lamb
 
Die beiden Physiker erhielten den Nobelpreis für ihre unabhängig voneinander geleisteten Beiträge zur Entwicklung der Quantenelektrodynamik.
 
 Biografien
 
Polykarp Kusch, * Blankenburg (Harz) 26. 1. 1911, ✝ Dallas (Texas) 20. 3. 1993; 1912 Emigration in die USA, 1931 Mitarbeit am Case Institute of Technology in Ohio, 1933-36 Promotion an der University of Illinois, seit 1949 Professur an der Columbia University in New York City.
 
Willis Eugene Lamb, * Los Angeles 12. 7. 1913; 1934-38 Promotion in theoretischer Physik unter Robert Oppenheimer, seit 1948 Professur an der Columbia University, ab 1951 an der Stanford University (Kalifornien), 1956-62 Wykeham Professur der Physik an der Oxford University, seit 1974 Professur an der University of Arizona in Tuscon.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Nach fast 20 Jahren gelang es den beiden Amerikanern Willis Lamb und Polykarp Kusch, durch ihre experimentellen Ergebnisse eine notwendige Korrektur und Erweiterung der Dirac'schen Quantentheorie (Nobelpreis 1933) zu ermöglichen. Dies geschah zwar unabhängig voneinander, aber zur gleichen Zeit und am gleichen Ort: an der Columbia University in New York im Jahr 1947.
 
Wie bei einem großen Teil seiner Kollegen wurde auch Lambs Interesse an der Physik über sein Chemiestudium geweckt. Dabei sollte ihn seine Begeisterung für die Quantenmechanik, die die Zusammenarbeit mit seinem Professor Robert Oppenheimer, dem »Vater der Atombombe«, in ihm hervorrief, für den Rest seines Lebens festhalten. 1938 wechselte er auf Isidor Rabis (Nobelpreis 1944) Betreiben hin an die Columbia University und erhielt dort einen Einblick in Rabis Molekularstrahltechnik.
 
Polykarp Kuschs Arbeit an der Columbia University begann bereits 1937. Der deutschstämmige Kusch war 1912 als Kleinkind mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten gekommen und hatte schließlich mit zwölf Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten. Nach seiner Promotion im Bereich optischer Molekülspektroskopie an der University of Illinois 1936 arbeitete er für ein Jahr an der University of Minnesota, diesmal an der etwas neueren Massenspektroskopie. 1937 dann begann seine 35 Jahre dauernde Karriere an der Columbia University, die nur von seiner Arbeit während der Kriegsjahre unterbrochen wurde. Einen bereits viel versprechenden Anfang bildete Kuschs Arbeit mit der neu entwickelten magnetischen Resonanzmethode: Nach nur vier Monaten an der Columbia University war er Koautor einer Veröffentlichung, die Rabi 1944 den Nobelpreis einbringen sollte. Mithilfe dieser Resonanzmethode lässt sich das magnetische Moment eines Teilchens sehr präzise bestimmen. Sie war der Schlüssel zu Kuschs und letztlich auch Lambs Nobelpreis.
 
 Das entscheidende Promille
 
Wie zahlreiche andere Physiker leistete auch Kusch während des Zweiten Weltkriegs einen Beitrag zur Radarforschung, wobei er mit den neuesten Mikrowellentechniken vertraut wurde. Anfang 1947 verstärkte sich im Physikerkreis um Rabi der Verdacht, eine Abweichung vom bisher angenommenen Wert des magnetischen Moments des Elektrons könnte die Ursache für eine Reihe ansonsten unerklärbarer Messergebnisse sein. Kusch nahm diese Anregung auf und untersuchte gemeinsam mit H. M. Foley Elektronen in der Atomhülle von Natrium, Gallium und Indium. Die Dirac'sche Theorie sah für das magnetische Moment des Elektrons einen festen Wert vor, das so genannte Bohr'sche Magneton. Was Kusch und Foley jedoch als Ergebnis erhielten, entsprach dem 1,00119-fachen dieses Werts. 1952 konnte Kusch anhand noch exakterer Messungen an Wasserstoff dieses Resultat bestätigen. So vermeintlich klein diese Abweichung auch war, sie forderte dennoch — ganz wie Lambs Arbeit — eine theoretische Neuorientierung in der Quantenmechanik.
 
 Die Lamb-Verschiebung
 
Obgleich die beiden Physiker seit 1938 praktisch Tür an Tür arbeiteten, gab es zum Zeitpunkt ihrer mit dem Nobelpreis geehrten Arbeiten keinerlei Kooperation zwischen ihnen. Als Ehemann einer gebürtigen Deutschen hatte man es Lamb zu Beginn des Kriegs nicht gestattet, an kriegswichtigen Forschungen teilzunehmen. Ende 1943 lehnte er dann das Angebot Oppenheimers ab, am Atombombenprojekt in Los Alamos teilzunehmen. Stattdessen beteiligte er sich am Radiation Laboratory in Columbia an der Entwicklung von Mikrowellenoszillatoren. Obwohl als theoretischer Physiker angestellt, ließ Lamb es sich nicht nehmen, sich auch mit den experimentellen Feinheiten zu beschäftigen. Unwissentlich bereitete er so seine spätere Arbeit am Wasserstoffatom vor.
 
Ab 1945 widmete sich Lamb schließlich den optischen Übergängen des Wasserstoffatoms. Ein Jahr später begann er gemeinsam mit dem Doktoranden Robert Retherford mit den Vorbereitungen für seine Messungen, mittels derer er das Spektrum des atomaren Wasserstoffs unter Verwendung der Hochfrequenz- und Mikrowellenspektroskopie auf Aufspaltungen untersuchte. Nach der Dirac-Theorie sollten Niveaus gleicher Haupt- und Gesamtdrehimpulsquantenzahl, aber unterschiedlicher Bahndrehimpulsquantenzahl zusammenfallen. Lamb und Retherford konnten mit ihrem Experiment jedoch nachweisen, dass auch die relativistische Dirac-Theorie das Wasserstoffatom noch nicht komplett beschrieb, sondern dass unterschiedliche Bahndrehimpulsquantenzahlen auch zu unterschiedlichen Energien führen. Diese Energieaufspaltung wurde nach ihrem Entdecker die Lamb-Verschiebung genannt. Für die sich gerade entwickelnde Quantenelektrodynamik war diese Verschiebung von zentraler Bedeutung: Die Physiker mussten zu ihrer Deutung davon ausgehen, dass ein Elektron im Atom fortwährend Lichtquanten aussendet und wieder absorbiert. Neben anderen Physikern ist es vor allem Hans Bethe (Nobelpreis 1967) zu verdanken, eine überraschend einfache Erklärung für die Verschiebung der potenziellen Energie des Elektrons zu finden. Gemäß der Quantentheorie treten Nullpunktsschwankungen des elektromagnetischen Felds auf, die wiederum statistisch am Elektron angreifen und die Lamb-Verschiebung verursachen.
 
 Laser, Maser und Computer
 
Lambs Interesse am Wasserstoffspektrum wurde auch durch seinen beruflichen Wechsel an die Stanford University nicht geschwächt, wo er zusammen mit seinen Kollegen auf diesem Gebiet weiterforschte. Darüber hinaus leistete er wichtige Beiträge zur Entwicklung der Laser- und Masertechnologie. Und als die Computer ihren Einzug an den Universitäten hielten, war er einer der Ersten, der sich ihnen sehr zeitintensiv widmete.
 
Auch Kusch blieb seinem Forschungsgebiet viele Jahre treu, widmete sich aber dann der Erforschung durch Laser induzierter Fluoreszenzen.
 
Im Jahr 1959 kam es schließlich zu einem Treffen zwischen Lamb und Paul Dirac, bei dem Letzterer sich nach Lambs Arbeit erkundigte. Der Jüngere gestand, er empfände wohl Freude über seine Entdeckung, hätte aber lieber Diracs relativistische Wellengleichung entwickelt. Daraufhin erwiderte der Brite Dirac großzügig: Früher seien die Dinge eben einfacher gewesen.
 
C. Hein

Universal-Lexikon. 2012.

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